Peter Linder leitet ein umfangreiches Veränderungsprojekt: Das gesamte Server-System des Unternehmens wird umgestellt. In einer Projektgruppe sind die wichtigsten Partner vertreten: Bereichsleiter, Vertreter von internen und externen Kunden, Auftraggeber. Sie alle stehen hierarchisch mehrere Stufen über Peter Linder - und begrüssen das Projekt bei weitem nicht mit Begeisterung. Latenter Widerstand, offener Widerspruch, Absenzen bei Sitzungen - Peter Linder ist der Verzweiflung nahe. Wie bringt er sein Projekt zum Ziel?

Seitwärts führen

Ähnliche Situationen finden sich im Betriebsalltag. Die zentrale Frage dabei lautet für die Betroffenen: Wie setze ich meine Ziele durch, wenn ich keine Weisungsmacht habe? Die Antwort: Wer sich durchsetzen will ohne Befugnisse, ist auf Akzeptanz angewiesen. «Laterale Führung» heisst das entsprechende Konzept. Lateral - von latus= Seite, Flanke - meint Führung von der Seite, also ohne die Macht der Linie einsetzen zu können. Wer «seitwärts» führt, kennt die dazu gehörenden Probleme nur zu gut:

• Unklare Machtverhältnisse und Machtspiele;
• Interessengegensätze (die meist nicht offen gelegt werden);
• Kulturelle Unterschiede: zwischen Bereichen, Kulturen und zwischen Unternehmen; 
• Widersprüchliche Ziele;
• Konkurrenzhaltung überwiegt Kooperationsbereitschaft («Gärtchenpflege»).

Drei Wege zum Führungserfolg 

Um diese Nüsse zu knacken, stehen der lateralen Führungsperson drei Wege zur Verfügung, die sich bestens kombinieren lassen:

Erstens: Macht gestalten

Für lateral Führende ist es oft schwierig, die eigene und die fremde Machtstärke einzuschätzen. Hier muss sie ein feines Instrumentarium zur Analyse der Machtverhältnisse und der Machtspiele entwickeln. Wer kontrolliert wichtige Machtfaktoren wie Wissen, Entscheidungsmöglichkeiten, Zugang zu Machtträgern, Informationskanäle? Welche Spielzüge werden wiederholt angewendet? Welche Netzwerke stehen wem zur Verfügung? Diese Analyse gilt es bewusst einzusetzen, zum Beispiel:

• Tauschbörsen: Machtspiele werden offen ausgetragen und interessante Deals angeboten.
• Neue Mitspieler hinzuziehen, um die Macht-Dynamik zu verändern (z.B. Kunden).
• Neue Regeln einführen, die eingespielte Muster durchbrechen (z.B. wer einen Termin absagt, bietet einen neuen an). 
• Unterstützende Kräfte gezielt aufbauen und als Multiplikatoren einsetzen.

Zweitens: Differenzen verhandeln

Projektteams oder Entwicklungsgruppen bestehen oft aus Vertretern unterschiedlicher Bereiche oder Firmen. Jeder dieser Bereiche hat seine bestimmte Aufgabe im Rahmen des Unternehmens, sein eigenes Selbstverständnis, seine Sicht auf das Unternehmen. All dies ist für die Mitglieder des Bereichs selbstverständlich und nicht hinterfragt. 

Mit dieser Selbstverständlichkeit begegnen sich dann in der Projektgruppe Mitglieder verschiedener Bereiche. Unterschiedliche Selbstverständlichkeiten prallen aufeinander. Schnell einmal findet man sich gegenseitig irrational, stur, unkooperativ - all dies ohne zu verstehen, dass sich unterschiedliche Logiken gegenüberstehen. So ist das Marketing voll und ganz auf die Bedürfnisse von Markt und Kunden ausgerichtet, während die Entwicklung primär auf die brillante Technologie oder ein tolles neues Produkt fokussiert ist. In der Soziologie werden diese spezifischen Denk- und Sichtweisen «lokale Rationalitäten» genannt.

Damit eine Verständigung auf gemeinsame Ziele hin möglich ist, müssen diese Denkmuster aufgeweicht und verändert werden. Nur wenn die Projektmitglieder bereit sind, aus ihrer lokalen Logik heraus zu treten, sind sie fähig, offen nach Zielen und Lösungswegen zu suchen. Für die laterale Führungsperson heisst dies, Fragen zu stellen: Warum macht ihr das auf diese Weise? Warum siehst du das so? Was sind eure grössten Treiber? Welchen Einfluss hat das Projekt auf euren Auftrag? Nur durch Erklären der unterschiedlichen Werte, Haltungen und Ziele (=mentalen Modelle) ist es möglich, gegenseitiges Verständ- nis zu wecken. Nur wer sich in seinen Interessen gehört und verstanden weiss, ist bereit, neue Wege zu beschreiten. Und erst, wenn die unterschiedlichen Realitäten und Interessen auf dem Tisch sind, ist klärbar, was der Gewinn des Projektes für alle Beteiligten ist.

Drittens: Vertrauen

Ein Vertrauensverhältnis unter den am Projekt Beteiligten erleichtert die Lösungssuche enorm. Vertrauen wächst auf der Basis von Transparenz, Verlässlichkeit und gegenseitiger Unterstützung. Gerade bei Interessenvertretern ist das aber zum Teil schwer möglich, da ihnen nicht erlaubt ist, die Interessen ihres Bereichs aufzugeben, um mit andern am gleichen Strick zu ziehen. Daher ist folgendes Vorgehen hilfreich:

• Auf Nebenschauplätzen Vertrauen schaffen (z.B. Entscheidungsfindung durch Konsens).
• Zwänge offen legen.
• Unterstützung leisten, um Themen oder Entscheide in der eigenen Organisationseinheit begründen zu können.

Schlussfolgerung

Insgesamt lebt laterale Führung von Wertschätzung, Kommunikation und Beziehungsmanagement. Die schwierigste Aufgabe der lateralen Führung ist, gemeinsame Ziele und ein Commitment aller Beteiligten auf ein Projekt oder einen Auftrag zu erhalten. Hierfür ist Offenheit, Transparenz und das Beherrschen einiger Kniffe des Umgangs mit Blockaden das A und O. Herkömmliche Tools wie Verhandlungs- und Moderationstechnik sowie Kommunikationsfertigkeiten sind hilfreich. Hinzu kommt jedoch noch ein Wissen im Umgang mit Machtgefügen, ein Können im Ergründen von Haltungen und Interessen und ein Gespür für vertrauensbildende Massnahmen. Die Zukunft wird laterale Führung zu einem zwangsläufigen Bestandteil von Führungsarbeit machen.

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