Schenkt man wissenschaftlichen Studien Glauben, so gehört «Gleichgültigkeit gegenüber des Partners/der Partnerin» zu einem der meistgenannten Scheidungsgründe. Bei einer Scheidungsrate von immerhin 44% (2005) eine nicht zu unterschätzende Ursache für das Scheitern einer Ehe. Auch die Wirtschaft ist von mangelnder Wertschätzung betroffen: Fehlende Anerkennung der Leistungen, rüde Umgangsformen und ungerechtfertigte Zurechtweisungen von Mitarbeitenden kommen die Betriebe teuer zu stehen. Produktivitätseinbussen von bis zu 30%, sinkende Motivation der Mitarbeitenden und Fluktuation sind nur einige der Schäden, die daraus resultieren können. Das Problem der mangelnden Wertschätzung zieht sich durch jede Lebenslage und ist kein Phänomen der Schweiz: So weiss man in Deutschland, dass mangelnde Wertschätzung gegenüber Kindern in Schulen Gewalt mit verursacht.

Tief verankerte Wertschätzung

Wertschätzung gehört zu den Grundbedürfnissen der Menschen. Als Lebenshaltung umgesetzt, kann sie viele der genannten Folgen vermindern, wenn nicht gar aufheben.Wertschätzung wird dabei als eine selbstlose Form der Achtung und der Anerkennung den Mitmenschen gegenüber bezeichnet. Um Wertschätzung vermitteln zu können, braucht es keine intellektuellen Höchstleistungen oder langwierige Studiengänge. Der einzelne Mensch muss sich lediglich für sein Gegenüber interessieren und ihm grundsätzlich positiv gegenüberstehen. Das ist zwar nicht immer einfach, aber lernbar.

Wirkung von Wertschätzung

Wird das Grundbedürfnis Wertschätzung befriedigt, ist die Wirkung oft erstaunlich. Im beruflichen Umfeld lässt sich beobachten, dass Unmotiviertheit an der Arbeit in Interesse und widerwillige Kooperation in überzeugtes Engagement umgewandelt werden können. Durch Wertschätzung lassen sich in zwischenmenschlichen Beziehungen positive Erlebnisse hinzufügen, die Problemen und Konflikten entgegenwirken. Gegenseitige Wertschätzung besitzt das Potenzial, einen positiven Kreislauf in Gang zu setzen: Das heisst, die positive Wirkung kommt einerseits bei meinem Gegenüber an, wird von ihm aber auch wieder an mich zurückgegeben und kann sich so ständig fortsetzen.

Wertschätzung in Beziehungen

Wie wichtig Wertschätzung für den zwischenmenschlichen Umgang ist, wird in beruflichen und privaten Beziehungen deutlich. Beziehungen sind immer wieder Bewährungsproben ausgesetzt, die oft auch zu ihrem Scheitern führen: Fluktuation bzw. Scheidungen sind das Ergebnis. Die Begleiterscheinungen reichen hin bis zu psychischen und physischen Störungen der Betroffenen und können sich auch auf die berufliche Leistungsfähigkeit auswirken.

Zur Frage, was dem Stress in Partnerschaften entgegengesetzt werden kann, wird in der einschlägigen Fachliteratur oftmals gegenseitige Wertschätzung erwähnt, die sich erfolgreiche Paare im Alltag als auch in Krisenzeiten bewahren. Wertschätzung beginnt dabei allerdings nicht erst bei Lob oder Geschenken. Bereits das Einhalten von minimalen Höflichkeitsregeln stellt eine wichtige Art der Wertschätzung dar, was gerade in Konfliktsituationen gerne vergessen geht.

Wie «schätzt man Wert»?

Eine Voraussetzung für ehrlich gemeinte Wertschätzung ist, dass ich als wertschätzende Personen bei meinem Gegenüber überhaupt positive Eigenschaften erkenne, die ich schätzen kann. Dies mag trivial klingen, ist es aber nicht. In angespannten Beziehungen ist es schwierig, die positive Wahrnehmung des anderen nicht aus den Augen zu verlieren. Gerade hier ist es aber besonders wichtig, dem Gegenüber Wertschätzung entgegenzubringen, dies unabhängig vom aktuellen Beziehungsbarometer.

Wertschätzung vermitteln 

Das Entgegenbringen von Wertschätzung kann so beschrieben werden, dass ich einer anderen Person vermittle, dass sie für mich wichtig ist, ich mich für ihr Wohlbefinden und ihre Meinung interessiere.

Die Botschaft der Wertschätzung lässt sich auf unterschiedliche Weise vermitteln. Wertschätzung kann sprachlich ausgedrückt werden, z.B. durch Lob oder Komplimente. Sie kann aber auch in Form von praktischer Unterstützung daherkommen, z.B. durch Mitwirkung bei der Erarbeitung einer Problemlösung. Schliesslich eignen sich auch materielle Zuwendungen, um Wertschätzung auszudrücken, sei dies als Anerkennung z.B. in finanzieller Form oder als etwas von persönlichem Wert für die beschenkte Person.

Wertschätzung nach Mass

Ob meine Wertschätzung bei einer anderen Person ankommt, hängt von meinem Gegenüber ab. Die Absicht, den anderen Gutes zu tun, reicht nicht immer aus. Vielmehr geht es darum, die Form der Wertschätzung auf den Empfänger oder die Empfängerin zuzuschneiden. Dabei können zwei Grundformen von Wertschätzung unterschieden werden: Einmal die erwartete, durch gesellschaftliche Normen festgelegte Wertschätzung, die als minimale Wertschätzung bezeichnet wird. Dazu gehören die grundlegenden Höflichkeitsformen und Rituale. Fehlt diese, führt sie in der Regel zu Unzufriedenheit. Besonders positiv wirkt hingegen diejenige Form von Wertschätzung, die nicht alltäglich und erwartet ist und die wir besondere Wertschätzung nennen. Ihr sprechen wir das Potenzial zu, die Zufriedenheit beim Gegenüber nicht nur zu bewahren, sondern auch zu steigern und damit besonders motivierend zu wirken. Dazu gehört das positive Feedback. Auch die Unterstützung, z.B. einer Person eine Arbeit abnehmen, Verständnis aufbringen oder ihr Zeit und Gehör schenken usw., ist Teil dieser Form der Wertschätzung.

Verfehlte Wirkung

Bei diesen Überlegungen stellt sich die Frage, ob Wertschätzung bei allen Menschen die gleiche Wirkung erzielt. Obwohl in der Regel Personen auf die oben erwähnten Formen von Wertschätzung positiv reagieren, kann nicht verschwiegen werden, dass bei gewissen, als schwierig geltende Personen auch fortwährende Bemühungen wenig fruchten. In solchen Fällen empfiehlt es sich, nicht nur anderen Personen Wertschätzung entgegen zu bringen, sondern auch sich selbst lieb zu sein – und sich an Leute zu halten, die Wertschätzung auch zu schätzen wissen.

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